Der erste Schnee


Der erste Schnee
Er fällt, er fällt
Deckt Felder zu und Strassen
Bepudert Sträucher, Brücken, Dächer
Hüllt die Skulptur ins weisse Kleid
Weiss und rein
Glitzernd und strahlend
Als trüge sie ihr Hochzeitskleid
Harte Kanten werden weich
Strenge weicht dem Sanften
Marmorne Kälte
Verborgen unter schnee'ger Pracht
Der erste Schnee
Er fällt, er fällt
Bedeckt züchtig ihre Brüste
Liegt still auf kühlen Lippen
Umschleiert zart gelocktes Haar
Schmiegt sich um Taille und Schenkel
Unnachgiebig, unschuldig weiss
Wie der hermelin'sche Königsmantel
Sonnenstrahlen zaubern Glitter, Diamanten und Saphire
Auf Felder, Bäume, Strassen - auf die holde Gestalt
Lassen sie leuchten und schillern im edelsten Glanz
Für einen illusorisch lichten Moment
Funkelnder Sonnenschein
Frostig, klar und kalt
Glitter, Diamanten, Saphire
schmelzen zu perlenden Tropfen
Zu grauen Lachen – schwindender Glanz
Das Hermelin gleitet von nackten Schultern
Von schlanken Schenkeln, vom steineren Schoss
Zerfällt, vergeht, verdampft
Schwarz und glanzlos die Strassen
Verletzlich nackt Bäume und Felder
Die Sonne folgt unbeirrbar ihrer Bahn
Entrückt hinter schneeschweren Wolken
Es fällt der Schnee
Er fällt, er fällt
Dezember 20
Unausweichlich
Deine Brust hebt sich zitternd,
Senkt sich bebend, du schläfst.
Bewegungslos dein müder Leib,
Mondblass und warm die Haut.
Ich spüre unseren Herzschlag,
Bin ich du, bist du ich?
Im Einklang unseres Atems
Sind wir Leib an Leib vereint.
In mir ein Glück, so unfassbar, so rein,
So mächtig, dass es in der Kehle schmerzt.
Doch ist es flüchtig, wie ein Sommerregen,
In ihm verborgen längst der Schmerz des Abschieds.
Denn in dieser oder jener Welt
Werde ich einst sein ohne dich.
Heute oder erst in tausend Jahren -
Unausweichlich steht der Tag geschrieben.
Jeder Herzschlag, jeder Atemzug
Bringt uns der Trennung näher,
Zur Stund noch schmiegt sich Leib an Leib -
Lebendig, warm, als gäbs nie ein Lebewohl.
Juli 2020

Letzter Tanz


Tanzend durch die lange Nacht
Erfüllt und klanggeflutet
Wange an Wange
Hand in Hand
Herzschlag an Herzschlag
Alles wird gut sein
Wenn der Morgen graut
Die Sonne aufgeht
Uns in goldenes Licht taucht
Trauen, getrauen, vertrauen
Wir lassen uns fallen
In sorgenlose Glückseligkeit
Bis alles ist an seinem Platz
Alles seine Ordnung hat
Fallen trunken, fallen endlos
An diesem lichten Ort
Berühren sich Leben und Tod
Ist nichts als Freude und Harmonie
Hier sind wir verbunden, vereint
Für immer – für die Ewigkeit
Dieses traumerfüllte Universum
Nenne ich das Friedensland
Hier blüht Liebe und Hoffnung
Findet sich Stille und Erfüllung
Wir sind angekommen – angenommen
Juni 2020
Frühjahr 2020

Zuhause
Das Haus ist zu
Für Freunde geschlossen
Gleicht es einer Festung
Eine Insel
Umgeben von Ungewissheit
Ausgesetzt der Angst und Sorge
Kommt sie einem Gefängnis gleich
Unsere Gesellschaft
Geschafft und ungesellig
Obrigkeitsgläubig, verstummt
Schreckensstarr, berührungslos
Das ist unsere Welt
Wie wird sie morgen sein?
April 2020
Frühlingsschnee

Unten im Tal hat der Frühling bereits Einzug gehalten. Hier in den Bergen ist noch wenig von ihm zu spüren. Sie queren Schneefelder, an der Oberfläche ist er brüchig und harsch, unten weich und nass. Dort, wo kein Schnee mehr liegt, ragen – einem Versprechen gleich - Bergkrokusse aus der braunen Wintererde. Der Himmel zeigt sich im klaren, satten Frühlingsblau. Kleine Wolken jagen eilig von West nach Ost.Bei einer Berghütte rasten sie, breiten ihre Jacken am Boden aus, setzen sich und lehnen mit dem Rücken an die sonnenwarme Holzwand. Vor ihnen dehnt sich die sanft ansteigende, hügelige Landschaft, gesäumt von schroffen
Berggipfeln. Es ist still. Doch als sie in die Stille lauschen, hören sie das Seufzen des schmelzenden Schnees. Das Tropfen des Wassers, das Flüstern des Windes und fernes Vogelgezwitscher. Sie essen Brot und Käse, trinken heissen Tee.
Sie sitzen nahe beieinander. Vertraut zwar, aber im Wissen, dass es im anderen noch viel Unbekanntes, Verborgenes, Helles und Dunkles zu entdecken gibt.
Junge Liebe. Hoffnungsvoll. Jedes Mal wieder aufs Neue.
Unbelehrbar?
Hat das Leben ihnen nicht gezeigt, dass Liebe nicht unendlich hält, sich abnutzt. Vergänglich ist, wie der Schnee im Frühjahr.
Sie erzählen von ihren Verletzungen, Freuden, Enttäuschungen, Hoffnungen, Träumen, Erwartungen.
Sie ziehen Schuhe und Socken aus und stapfen barfuss durch den weichen Frühlingsschnee, halten das Gesicht der Sonne entgegen und als sie das Schreien eines Bussards hören, heben sie den Blick und folgen schweigend seinem Flug.
Sie sprechen über das Leben. Und über den Tod. Denn wenn die Mitte des Lebens vorbei ist, weiss man, dass dort, wo es Leben gibt, auch der Tod ist. Dass sie zusammengehören. Wie Tag und Nacht, Mann und Frau, Licht und Schatten, Freud und Leid.
Er zieht sich aus und macht im Schnee einen Engel. Die Flügel biegen sich anmutig, der Engel liegt tief und schwer im Schnee.
Sie schauen zu den Bergen, beobachten die Wolken, sehen in das Blau des Himmels, tiefer und tiefer. Blicken in die Unendlichkeit.
Das Leben ist gegenwärtig und wahrhaftig, warm pulsiert es in ihnen.
Die Schatten werden länger. Sie packen zusammen und schultern die Rucksäcke.
Sie schauen zurück auf den Schneeengel und die Spuren ihrer nackten Füsse, die bereits die Konturen verlieren.
Morgen, denkt er, werden die Umrisse des Engels verwischt sein; in ein zwei Tagen, denkt sie, wird es sein, als wären wir nie hier gewesen.
Und doch, sie sind hier gewesen und ihre Spuren weren, wenn auch im Schnee vergänglich und flüchtig, anderswo festgehalten für die Ewigkeit.
März 2020
Zum neuen Jahr


Die Nacht bricht an – wie unzählige zuvor,
Doch dieser hier liegt ein eigener Zauber inne
Denn Morgen ist dieses Jahr Vergangenheit
Vor uns liegt ein neues Jahr – die Zukunft.
Ach, wie töricht ist es zu hoffen,
dass in dieser einen Nacht alles anders werde.
Eine Nacht, nicht ungewöhnlicher als jede andere -
Gleichwohl einzigartig, wie jede Nacht, die war und sein wird.
Der Mensch wird sich nicht ändern über Nacht
Wird nicht erfahren Wandel, Erleuchtung, Metamorphose
Er wird bleiben, was er war und ist seit langer Zeit
Zerstörerisch, unreif, rücksichtslos und blind.
Aber in tausenden von Jahren – vielleicht
Wird der Mensch erwachen und sich wandeln
Er wird Sorge tragen zu seinem Erbe, der Erde
Zu allem, was sie belebt, bevölkert und umgibt.
Er wird begreifen, dass er nur zu Gast hier weilt
Staunend und ehrfurchtsvoll die Augen öffnen
Bemüht sein, zu heilen, was zu heilen ist
Sich erinnern, dass alles eine Seele hat.
Nichts mehr wird er sich Untertan machen
Er wird frei sein, endlich, wirklich frei
Im Einklang mit den Elementen wird er leben
... irgendeinmal ... das erhoff ich mir.
31.12.2019